
Mann, Frau, Erleuchtung
Ein Gespräch über Liebe und Spiritualität in der Partnerschaft
Torsten Brügge und Padma Wolff sind seit über zehn Jahren ein Paar und geben gemeinsam Satsang, bzw. spirituelle Unterweisungen. Visionen sprach mit ihnen über ihre Erfahrungen.
Visionen: Wie seht und erlebt ihr die Beziehung zwischen Mann und Frau in Bezug auf das spirituelle Erwachen?
Torsten: Bevor wir über diesen Aspekt von Spiritualität sprechen, sollten wir unser Verständnis des Begriffs „Spiritualität“ und „Erwachen“ vielleicht kurz erläutern. Wir verstehen unter „Spiritualität“ das direkte Erleben einer Seins-Ebene, die über unser gewöhnliches Empfinden, eine von anderen getrennte Person zu sein, hinausgeht. Manchmal wird diese Ebene auch als „transpersonaler Bewusstseinsraum“ bezeichnet. Ein allumfassendes, ungetrenntes Bewusstsein, das alle fühlenden Wesen belebt. Es bildet den Urgrund und die innere Essenz aller Dinge und Erfahrungen. Authentische Spiritualität zielt ab auf die unmittelbare Erfahrung dieser allem zugrunde liegenden Wirklichkeit – nicht auf das Philosophieren darüber.
Erwachen wir zu dieser Seins-Ebene und geben wir dem unser Leben hin, bringt das eine radikale Transformation unserer Wahrnehmung mit sich. Wir entdecken eine ungeahnte Freiheit und Erfüllung. Wir finden einen Zugang zu einem bedingungslosen, natürlichen Glück und einer allumfassenden Liebe.
Padma: Solange wir nicht an dieser tiefsten Ebene unseres Seins interessiert sind, werden unsere Beziehungen häufig von Verwirrung und Leiden beherrscht. Denn dann glauben wir, dass unser Partner oder die Beziehung verantwortlich für unser Glück und unsere Zufriedenheit oder unseren Schmerz und unsere Unerfülltheit wäre. Daraus resultieren eine Reihe von destruktiven Interaktionsmustern, die Stress und Spannung erzeugen: Wir fordern Liebe ein. Wir setzen den Anderen unter Druck. Wir produzieren Schuldgefühle oder leiden selbst unter solchen. Wir steigern uns in Auseinandersetzungen hinein, in denen wir uns gegenseitig verletzen. Oder wir ziehen uns innerlich zurück, setzen starre Grenzen, bauen Mauern, schotten uns vor Intimität und echter Nähe ab. Wir flüchten vor den Herausforderungen, die Beziehungen und aufrichtige Begegnung natürlicherweise mit sich bringen.
Wenn wir aber erfahren, dass es eine Ebene unseres Seins gibt, die in sich selbst erfüllt und in Frieden ist, ganz unabhängig von Umständen und Beziehungsgegebenheiten, eröffnet sich eine Chance, mit all dem aufzuhören. Erst dann können wir innehalten und aus dem Chaos von Reaktions- und Gegenreaktionsmustern, aus der Achterbahn von Sehnen, Abwehr und Flucht aussteigen. Erst dann können wir uns auch auf die echte Intimität einer Beziehung einlassen. Denn dann haben wir keine Angst mehr vor Verletzung, Enttäuschung oder davor, uns selbst zu verlieren. Wir verknüpfen das Erleben von Liebe und Verbundenheit nicht mehr mit der Erfüllung unserer persönlichen Vorstellungen vom Beziehungsglück. Erst dann kann Beziehung wirklich gelingen.
Sicherlich gibt es auch noch jeweils spezifische „weibliche“ und „männliche“ Beziehungsmuster. Doch die angesprochenen Aspekte gelten für alle Arten von Beziehungen, gegengeschlechtlich, gleichgeschlechtlich, familiär, freundschaftlich oder welcher Art auch immer.
Visionen: In etlichen spirituellen Traditionen werden Männer und Frauen voneinander getrennt, und oft werden Frauen dabei benachteiligt. Was meint ihr: Wie kam es dazu? Was ist daran richtig oder falsch?
Torsten: Die Idee, die hinter der Trennung von Männern und Frauen steckt, ist durchaus verständlich. Sowohl sexuelle Begierde als auch die Vorstellungen einer romantischen Beziehung haben in der menschlichen Psyche eine enorme Kraft. Die vielen „Spielchen“, die damit einhergehen, können unsere Aufmerksamkeit sehr stark binden und uns vom Wesentlichen ablenken. Das können wir in uns selbst beobachten: Wie viele unserer gewöhnlichen Gedankengänge und Fantasien beschäftigen sich mit der Welt der Beziehungen, der Erotik, des Flirts, der Sehnsucht nach Geborgenheit, nach einem Partner? Vermutlich eine ganze Menge. Angetrieben werden diese Fantasien von der Vorstellung: „Um wirklich glücklich zu sein, brauche ich eine erfüllende Beziehung.“
Dieses Glaubensmuster ist eine Lüge! Um das zu durchschauen, kann es hilfreich sein, auch im Außen für eine gewisse Zeit auf Beziehung und die innere Beschäftigung damit zu verzichten. Doch letztendlich ist mit Beziehungen natürlich nichts falsch. Nur die Idee, dass unser Glück davon abhängig wäre, ist eine massive Irreführung.
Padma: Ich stimme Torsten zu, dass die Aufteilung in gleichgeschlechtliche Gruppen sehr heilsam und unterstützend sein kann. Ebenso bietet dann wiederum die gegengeschlechtliche Begegnung wundervolle Möglichkeiten der Herausforderung und Vertiefung. Was die Benachteiligung von Frauen in diesen Gruppen angeht, gibt es ja viele Erklärungsansätze dazu, wie dieses Ungleichgewicht überhaupt in unserer gesamten gesellschaftlichen Lebenswelt zustande kommt. Eine wäre, darin eine Gegenreaktion auf das ursprüngliche Matriarchat zu sehen, das wir möglicherweise sowohl gesellschaftlich durchlaufen haben, als auch jeweils individuell in unserer Entwicklung erfahren. Denn in unserer Kindheit haben wir es alle zunächst einmal mit einer aus dieser Perspektive sehr mächtigen Mutter zu tun, ist die Mutter die erste Göttin in unserem Leben. Sie bringt uns hervor und von ihrem Wohlwollen ist der Erhalt unseres Lebens abhängig.
Vielleicht zusätzlich ist das männliche Dominanzstreben auch generell genetisch angelegt. Tendenziell zumindest ist es eher der männliche Körper, der dazu ausgerüstet ist, nach kämpferischer Eroberung zu streben, während die weibliche Domäne eher in der Kooperation liegt. Gerade weil es diese Tendenzen gibt und vor allem die Neigung, einander darin gegenseitig oder selber abzuwerten und zu verletzen, scheint es oft zunächst sinnvoll, Gruppen zu trennen. Damit wird ein Freiraum geschaffen, in dem wir uns weniger mit Machtstrukturen ablenken müssen und die Geschlechtsidentität in den Hintergrund treten darf. Denn was bedeutet „Frau“, wenn es „Mann“ nicht gibt? Auch diese – in der Regel sehr starke, wenn auch häufig unbewusste – Identifikation kann sich ohne Gegensatz leichter lösen.
Visionen: Bekanntlich begegnet unser Verstand der Freiheit immer wieder mit einem „Ja, aber…“. Was sind nach eurer Erfahrung (mit Suchern und in der eigenen Beziehung) die wichtigsten bzw. häuf igsten Einwände, die mit Partnerschaft zu tun haben?
Torsten: Die Glaubensmuster, welche Glück und Erfüllung an Beziehungen binden, haben große Kraft. Sie sind verdammt hartnäckig und werden gesellschaftlich verstärkt – durch all die romantisierten und sexualisierten Bilder und Geschichten, die die Medien verbreiten.
Das „Ja, aber…“ ist oft ein „Ja, Glück und Erfüllung ist eigentlich schon hier…, aber Du solltest doch etwas netter sein, … aber ich brauch’ doch einen einfühlsamen Partner, … aber die Beziehung verhindert, dass ich in Frieden sein kann.“ Wenn wir solchen Gedanken blind folgen, verwickeln sie uns in neues altes Leiden. Dann übersehen wir den Frieden, der schon hier ist, egal wie sich unser Partner verhält.
Doch solche Gelegenheiten bieten auch Chancen: Können wir der Erfahrung, die dem „Ja, aber…“ zugrunde liegt und es antreibt, ganz direkt begegnen? Meist sind es Zorn, Angst oder Enttäuschung bzw. eine emotionale Bedürftigkeit oder Sehnsucht, die unterschwellig schmerzen. An der Oberfläche agieren wir dies aus: Wir fordern, weisen zu recht, verletzen, tun beleidigt, verkaufen uns, überspielen oder ziehen uns zurück.
Wenn wir mit dem Ausagieren innehalten, können wir uns erlauben, den Schmerz der Enttäuschung über die Unzulänglichkeit des Beziehungsglücks zuzulassen. Dann kann sich etwas anderes zeigen. Im rückhaltlosen Zulassen der Enttäuschung lassen wir die Täuschung des bedingten Glücks hinter uns. Die unangenehmen Gefühle können dann verbrennen und lassen wieder den bedingungslosen Frieden dieses Augenblicks offenbar werden. Dieser Frieden fordert nicht. Er braucht nichts. Er zieht sich nicht zurück, sondern hat ein offenes Herz für die eigene Enttäuschung und selbst für den Partner, der einen vermeintlich enttäuscht oder verletzt hat.
Padma: Andersherum muss natürlich auch oft die Beziehung oder der Partner als Grund – oder sogar als Vorwand – herhalten, dass ich ja so gerne frei sein möchte, aber mein Partner mich nicht lässt. Entweder bin ich da noch in Verantwortungen eingebunden oder hätte Angst, verlassen zu werden, und kann mich deshalb nicht von meiner Identität lösen.
Am stärksten ausgeprägt wird das in der Regel, wenn dann noch Kinder mit im Spiel sind. Und, klar – dann ist die Verantwortung auch am größten. Aber ebenso die Chance, gerade das als Herausforderung zu nehmen, dann erst recht sogar und gerade für die Kinder zu erwachen. Denn was wollen wir denen schließlich wirklich weitergeben: neurotische Verpflichtung zur Unzufriedenheit oder liebevoll erfüllte Freiheit?
Visionen: Was meint ihr: Könnte Spiritualität bzw. die Frage nach dem wahren Selbst in Zukunft den Menschen und speziell Paarbeziehungen den eigentlichen Sinn und Zusammenhalt liefern?
Torsten: Ja, absolut. Die Entdeckung der spirituellen Dimension stellt uns den tiefsten und „verlässlichsten“ Sinn von Beziehung zur Verfügung. Alles andere ist äußerst anfällig für Störungen und Enttäuschungen: Sexuelle Lust kann in Beziehungen schnell schal werden oder verebben. Soziale Verbundenheit, die zunächst über gemeinsame Interessen und Weltsichten zusammenschweißt, kann sich „auseinanderleben“. Und selbst der „traditionelle Klebstoff“ langjähriger Beziehung, gemeinsame Kinder, zählt heute oft nicht mehr viel. Oder es geht gar auf Kosten der Kinder, wenn sie entweder die Frustration der Eltern ausbaden oder für deren Suche nach Sinn und Erfüllung herhalten müssen.
Erst das Interesse und die gemeinsame Vertiefung in der Entdeckung spiritueller Freiheit kann eine Grundlage bieten, die verlässlich ist. Die Kraft und Entschlossenheit, die wir brauchen, um den Enttäuschungen auf den relativen Ebenen von Beziehung begegnen zu können, kommt aus der absoluten Seins-Ebene. Wenn wir uns mit dieser Kraft verbunden fühlen, können wir alles, was auftaucht, für einen Transformationsprozess nutzen, in dem wir zugleich immer größere Unabhängigkeit und Beziehungsfähigkeit entdecken. Die Entdeckung des „wahren Selbst“ offenbart natürlich auch das Selbst im Partner. Und diese „über-persönliche“ Entdeckung eröffnet völlig neue Ebenen und Formen der persönlichen Intimität, die herkömmliche Vorstellungen von Nähe und Vertrautheit bei Weitem übertreffen.
Padma: Die beste Voraussetzung für eine gute Partnerschaft ist, dass ich wirklich hier bin und mit mir glücklich und liebevoll sein kann.
