Immer wieder Nicht-Wissen

Leseprobe "Immer wieder Nicht-Wissen" aus Buchteil Fünf "Fragen und Antworten" aus dem Buch "Besser als Glück" von Torsten Brügge.


Ich habe schon Erfahrungen innerer Stille gemacht - das ist wunderbar. Manchmal kippt es allerdings in eine mentale Unruhe. Mein Denken versucht die Stille zu analysieren: "Woher kommt sie?" "Was ist Stille genau?" "Wie kann ich sie am besten beschreiben?" Das ufert zu einem frustrierenden Grübeln aus und die Stille ist weg. Können Sie mir dazu etwas sagen?

Unser Denken neigt dazu, verstehen und wissen zu wollen. Und tatsächlich können wir als Menschen sehr viel wissen. Wir wissen, wie man Häuser baut. Wie man Nahrung zubereitet. Wie Maschinen funktionieren. Die Wissenschaft weiß uns Einiges zu sagen. Über die Entstehung des Universums. Über die kleinsten Teilchen der Materie. Über die Entwicklung des Lebens auf der Erde und … und … und … . Doch schauen wir genauer hin, sehen wir, dass unser Wissen mindestens ebenso große Lücken aufweist. Selbst die besten Wissenschaftler ihrer Zunft geben zu: "Wenn wir eine wichtige Frage der Wissenschaft beantwortet haben, tun sich sofort zehn neue Fragen auf." In unserem persönlichen Leben geht es uns ähnlich. Am liebsten würden wir genau wissen, was morgen geschieht. Zu verstehen, wie das mit dem Gestern in Zusammenhang steht, wäre auch nicht schlecht. Wir würden gerne wissen, wie wir die beste Entscheidung treffen; was moralisch richtig und was falsch ist; warum wir so handeln, wie wir handeln. Weshalb genau wer wann wo was tut. Und wieso er gerade uns das antut. Und was wissen wir wirklich?

Unser Nichtwissen wird noch deutlicher, wenn wir versuchen, die spirituelle Dimension des Menschen zu beschreiben. Gerade in diesem Bereich versagen oft die Mittel des Verstandes. Worte bleiben unzureichend für die innere Stille oder die allumfassende Liebe, die wir innerlich erfahren. Es mag sein, dass uns manchmal die "perfekte Formulierung" für eine spirituelle Einsicht einfällt, das dürfen wir genießen.

Aber auch solche Einsichten sind nur Fingerzeige auf eine andere, unfassbare Dimension. Wie ein Schriftzug aus kleinen weißen Punkt-Wolken. Am Firmament formieren sie sich für einen Augenblick zu dem Satz "Dies ist der Himmel". Dann bläst der nächste Windzug wieder alles hinfort. Fühlt es sich nicht viel wohltuender an, das Blau des Himmels zu genießen, ohne die geringste Bezeichnung dafür zu haben? Vielleicht ist der Himmel nicht mal blau?

Die Versuche unseres Denkens, die Stille mit seinen Mitteln zu verstehen, können wir genauso betrachten. Der Verstand darf versuchen zu verstehen. Manchmal schafft er es. Beglückwünschen wir ihn dafür! Zugleich können wir uns immer wieder bereitwillig dem Nicht-Wissen hingeben. Wir erlauben uns immer wieder alles - auch die letzte tolle spirituelle Einsicht - zu vergessen. Ist das nicht eine große Erleichterung?

Ende der Leseprobe