
Angst vor Leere
Leseprobe "Angst vor Leere" aus Buchteil Fünf "Fragen und Antworten" aus dem Buch "Besser als Glück" von Torsten Brügge.
Ich meditiere seit einiger Zeit mit der Frage "Wer oder was bin ich?". Manchmal implodiert meine Aufmerksamkeit. Plötzlich scheint alles wie in einen Punkt zusammenzufallen. Aus diesem Sammelpunkt breitet sich eine Leere aus, die sich so anfühlt, als würde sie alle meine Wahrnehmungen auslöschen, wenn ich sie zulassen würde. Dann bekomme ich Angst und beende die Meditation. Sollte ich lieber mit dem meditieren aufhören?
Ihre Beschreibung hört sich nach den Vorboten der Eröffnung einer transzendenten Leere an. Viele Menschen haben Angst vor der Leere, bzw. vor ihren Vorstellungen davon. Der Tatsache ins Auge zu schauen, dass alles was wir wahrnehmen ausgelöscht werden könnte, löst bei ihnen den blanken Horror aus. Dabei erleben wir alle mindestens einmal in 24 Stunden eine Riesenportion dieser Leere. Und die fühlt sich tatsächlich sehr gut. Es ist der Tiefschlaf, der uns dieses Geschenk macht.
Nehmen wir an, wir würden um Punkt Mitternacht einschlafen. Was geschieht in den wenigen Sekunden davor? Da nehmen wir Abschied von allem. So schön unser Tag auch gewesen sein mag, wir haben genug von den vielen Erfahrungen und all den Erlebnissen. Wir sehnen uns nach Ruhe. Wir wollen vergessen. Nur noch vergessen. Um 23: 59 Uhr und 30 Sekunden freuen wir uns, alles vom Tag hinter uns lassen zu können. Erinnerungen verlieren ihren Reiz. Das Grübeln hört auf. Fantasien werden uninteressant. Probleme verblassen. Sorgen verschwinden.
Es ist 23: 59 Uhr und 45 Sekunden. Jetzt erlauben wir uns, auch unsere unmittelbare Umgebung zu vergessen. Wir wissen nicht mehr in welchem Haus wir schlafen oder in was für einem Bett. Was sich um uns herum abspielt, wird unwichtig. Selbst wenn neben uns jemand im Bett liegt, wollen wir von dieser Person nichts mehr wissen. Alles ist uns egal. Ganz in uns selbst versunken dämmern wir dem wohligen Tiefschlaf entgegen. Es ist 23: 59 Uhr und 55 Sekunden. Nur noch 5 Sekunden bis zum ersehnten Schlummer. Nun verblasst auch die Wahrnehmung unserer Sinne. Wir sehen nichts mehr. Riechen nichts mehr. Auch das Hören kommt zur Ruhe.
Schließlich um Punkt 0:00 Uhr vergessen wir uns selbst. Welche Erleichterung. Wir spüren unseren Körper nicht mehr. Kein Schmerz. Nicht die geringste Empfindung. Kein Pulsschlag, kein Atmen wird mehr wahrgenommen. Nun sinken wir endlich in ein seliges Nichts. Eine endlose Leere .Keine Zeit. Kein Raum. Null Erfahrung. Nur noch dunkle, lichtlose Seligkeit. Zutiefst erholsam. Zutiefst friedlich. Unser gesamtes Leben ist auf wunderbare Weise zum Erliegen gekommen. Brauchen wir vor solch einer wohltuenden Auslöschung Angst zu haben? Nein. Ob sich diese Leere im Übergang zum Tiefschlaf oder in der Versenkung der Meditation auftut, wir können sie offenherzig einladen und schauen, was sie uns zu offenbaren hat.
Ende der Leseprobe
